Eintracht-Trainer Oliver Glasner: „Ohne Diskussion wäre es eine Diktatur

2022-12-07 15:39:26 By : Mr. Ben Zhang

Von: Thomas Kilchenstein, Ingo Durstewitz, Daniel Schmitt

Eintracht-Trainer Oliver Glasner über Reibung im Alltag, den Geschmack der Champions League, seinen Werdegang und weshalb er sich keine Gedanken darüber macht, seinen Vertrag zu verlängern.

Herr Glasner, Sie haben sich zwar als WM-Muffel geoutet, trotzdem die Frage: Was hat Ihnen dieses Turnier bislang an Fingerzeigen oder Erkenntnissen gebracht?

Ich kann es nicht genau sagen, weil ich bisher zu wenig gesehen habe, aber großartig aufgefallen ist mir nichts. Ich glaube, die Vorbereitungszeit war viel zu kurz, eine Woche, wovon die erste Hälfte der Regeneration diente.

Also kommen bisher von dieser WM keine Impulse?

Ich glaube nicht, vielleicht die lange Nachspielzeit (lacht). Andererseits habe ich auch von den vorherigen Europa- oder Weltmeisterschaften nichts gesehen, von dem ich gesagt habe: ,Das müssen wir bei uns implementieren.‘

Oder ist der Fußball weitgehend ausgelesen?

Der Fußball entwickelt sich ständig, aber nicht in der Form, dass man sagen würde: ,Das habe ich noch nie gesehen, daran kommt in den nächsten zehn Jahren keiner vorbei.‘ Ich fühle mich in einem Punkt bestätigt: Du brauchst halt immer Spieler, die die engen Spiele entscheiden. Durch individuelle Qualität. Was mir noch aufgefallen ist: Es sind relativ wenig Torchancen herausgespielt worden und es fallen wenig Tore. Alle Mannschaften sind sehr gut organisiert, physisch stark. Das Schwierige ist, sich klare Torchancen herauszuspielen, selbst gegen die vermeintlich Kleinen.

Da haben Sie bei Eintracht Frankfurt momentan eher keine Probleme.

Das haben wir ganz gut hinbekommen. Vom Maximum würde ich aber nie reden. Die Mischung ist mir wichtig. Und da sind wir wahnsinnig variabel mit unseren Torschützen. Wir haben sicherlich Spiele gehabt, in denen unser Offensivspiel schon sehr schön anzusehen war, Hoffenheim, Dortmund, Leipzig oder in Bremen – auch wenn wir da mit Viererkette gespielt haben (lacht).

Wenn Sie gerade diese Partien ansprechen, wie haben Sie es geschafft, solch ein Spektakel zu inszenieren, teilweise nach strapaziösen Champions-League-Spielen.

Ich will das nicht so sehr reduzieren auf einzelne Spieler, aber Mario Götze und Randal Kolo Muani haben unser Offensivspiel schon belebt. Es war lange unser Thema: Wie kommen wir hinter die Kette? Durch Randal bleiben die tiefen Läufe jetzt nicht mehr nur an Jesper Lindström hängen. Wir haben auch überlegt: Wie kriegen wir unsere formstärksten, besten Offensivspieler auf den Platz, ohne dadurch jedes Mal mehrere Tore zu schlucken. So ist auch die Daichi-Kamada-Rolle im defensiven Mittelfeld entstanden. Ich muss halt immer das Gefühl haben: Jetzt passt es, die Mannschaft ist jetzt bereit dazu. Dann machen wir es.

Und Daichi Kamada hat diese neue Rolle sehr gut angenommen, er spielt besser und besser und wird nach dem zu Juventus gewechselten Filip Kostic vermutlich der nächste Spieler sein, der Ihnen von der Fahne geht.

Ich weiß nicht, ich hoffe nicht. Doch es ist in seinem Fall ein Unterschied zu Spielern, die noch einen langfristigen Vertrag haben. In diesen Fällen entscheidet der Verein, bei Kamada oder auch Evan Ndicka entscheiden die Spieler. Es war ja bei Kamada schon im Sommer ein Thema...

Der Spieler hat entscheiden. Aber ich habe ihm nochmals erklärt, wie ich ihn sehe, wie ich die Mannschaft sehe, wohin wir wollen und welch große Rolle er dabei spielt. Er hatte Bedenken wegen seiner Vertragssituation. Also ob er nicht spielt, wenn er nicht verlängert.

Da braucht niemand Angst zu haben, für mich ist die Vertragssituation völlig irrelevant. Ich habe ihm gesagt: ,Wenn du besser bist als andere, spielst du bis zum letzten Tag. Wenn nicht, dann nicht.‘ So klar bin ich dann in beide Richtungen. Er wollte mit uns in der Champions League spielen. Und er profitiert davon.

Können Sie ihm jetzt auch schmackhaft machen, seinen Vertrag zu verlängern?

Ich brauche ihn nicht davon zu überzeugen, denn er weiß, welchen Stellenwert er für unsere Mannschaft hat. Natürlich wird das Finanzielle ein Aspekt sein. Aber wir alle bei der Eintracht Frankfurt sind auf den Geschmack gekommen, wir spüren, wie sich Champions League anfühlt. Er wird überlegen: Habe ich hier realistische Chancen, in den nächsten drei, vier Jahren regelmäßig Champions League zu spielen oder suche ich einen anderen Klub, der mir diese Möglichkeiten sicherer bietet.

Wenn man Ihre Worte interpretiert, liebäugeln Sie also damit, in den nächsten drei, vier Jahren häufig in der Königsklasse anzutreten?

Sehen Sie, die Bundesliga ist die einzige europäische Liga, in der viele Klubs Chancen haben, um internationale Plätze zu spielen. Nehmen Sie nur Bayern, Dortmund, Leipzig oder Leverkusen, im Normalfall. Sie stehen mit ihren Möglichkeiten so weit über den anderen, dass vier Plätze theoretisch fast schon belegt sind. Dann gibt es mit Wolfsburg und Hoffenheim zwei ökonomisch „unabhängige“ Klubs, dazu kommt der SC Freiburg, Mönchengladbach und wir sowie eigentlich noch die Hertha, die jahrelang zu wenig aus ihren Möglichkeiten gemacht hat. Dann ist man schon bei zehn Klubs, und Union Berlin ist, wie so mancher Traditionsklub, noch gar nicht mitgezählt. Das sind die äußeren Schwierigkeiten.

Da haben wir Hausaufgaben zu machen, unter anderem wenn es darum geht, Stammspieler zu halten. Wir wissen, dass wir als Eintracht Frankfurt hier immer eine Herausforderung haben. Deshalb traue ich mir im Moment nicht zu, zu sagen, wir erreichen die Champions League in den nächsten Jahren sicher. Damit können in der Bundesliga nur ganz wenige Vereine kalkulieren.

...aber wenn wir es schaffen, unseren Stamm zu behalten, dann sehe ich eine große Chance für die Eintracht, sich nachhaltig unter den Top Sechs bis Acht festzubeißen. Das ist ja auch die generelle Zielsetzung des Klubs. Da sehe ich uns. Wenn wir einen Aderlass aber nicht verhindern können, sind wir erst mal wieder raus. Das ist schwer, schwer für alle Klubs. Alaba geht ablösefrei, Laimer, Boateng, Süle. Ich weiß aber, dass wir alle im Klub das gleiche Ziel haben und eine schlagkräftige Mannschaft wollen. Natürlich im besten Fall mit dem Stamm.

Was meinen Sie damit konkret?

Eintracht Frankfurt ist sehr erfolgreich gewesen in den letzten Jahren. Pokalsieg, Halbfinale in der Europa League, Rang fünf in der Liga. Da gab es prägende Figuren, die immer noch da sind: Trapp, Hasebe, Rode, Sow, Kamada, Ndicka. Aus dieser Zeit sind schon Abraham, Hinteregger, Kostic und zuvor André Silva oder die Büffelherde weggegangen. Aber das Gerüst war noch da, auch deshalb haben wir es ganz gut hingekriegt und haben den Aderlass auch mithilfe sinnvoller Transfers auffangen können. Natürlich wollen wir nicht in eine Situation kommen und fünf Stammspieler verlieren, weil man dann von vorne beginnt. Ich weiß aber, dass Sportvorstand Markus Krösche gleich denkt.

Wir haben eben von der Zukunft gesprochen, aber wie sieht es in dieser Saison aus? Kann die Mannschaft Platz vier verteidigen, das Niveau halten und den traditionellen Eintracht-Einbruch verhindern?

Ah, noch so ein Ziel, was es zu erreichen gilt. Nachdem wir es scheinbar geschafft haben, der Eintracht die Diva auszutreiben, geht es jetzt an den traditionellen Einbruch (lacht). Aber im Ernst: Ja, ich denke, dass wir das können. Aber nur, wenn wir defensiv noch besser werden. Und wir hatten jetzt auch kaum Verletzte (Klopft dreimal auf den Tisch; Anm. d. Red), sind da super durchgekommen. Wir haben uns gefunden, das Gefüge steht. Wir haben acht Spieler, die mehr als 70 Prozent aller Minuten gespielt haben. Der neunte hat schon weniger als die Hälfte. Aber, noch mal, ja, ich glaube, dass es möglich ist.

Aber keiner weiß ja so richtig, wo man steht nach der Winterpause. Und dieses Training jetzt, das ist ja auch irgendwie ziellos, ins Blaue hinein...

Moment. Ziellos ist das ganz sicher nicht. Das ist genau der falsche Zugang.

Es geht darum, sich weiterzuentwickeln und sich zu verbessern. Dazu muss ich bereit sein, auch wenn am Wochenende kein Pflichtspiel ist. Diese Zeit jetzt ist der erste Teil der Vorbereitung, im Januar kommt dann der zweite. So gehen wir es an. Die Frage ist: Wo haben wir das größte Verbesserungspotenzial? In unserem Defensivverhalten. Also arbeiten wir jetzt daran, und zwar gewissenhaft. Denn wir haben viel vor im Frühjahr – Bundesliga, Pokal, Champions League. Da wollen wir etwas erreichen. Unbedingt. Ich erwarte von den Spielern daher im Training volle Fokussierung und volle Konzentration. Ich erwarte eine Entwicklung, das Arbeiten an Schwächen. Wenn ich dazu nicht bereit bin, werde ich niemals mein maximales Potenzial ausschöpfen können.

Für Oliver Glasner waren die letzten Jahre wie eine Traumreise, manchmal scheint es, als könne der Österreicher, in Salzburg geboren und in Riedau sesshaft, übers Wasser laufen. Die Eintracht führte der Trainer gleich in seiner ersten Saison zum Europa-League-Titel. Die Teilnahme an der Champions League ist der verdiente Lohn. In die Königsklasse hatte der 48-Jährige zuvor auch den VfL Wolfsburg geleitet – nach seinem Abgang ging es für die Niedersachsen stetig bergab.

Der Trainer , Vater dreier Kinder, ist ein freundlicher, offener und kommunikativer Mensch, der aber auch anders kann, hart und gnadenlos ehrlich. Wenn ihm etwas nicht passt, eckt er an, weil er unerbittlich für seine Meinung einsteht und, wenn nötig, auch Konsequenzen zieht.Für die FR nahm er sich bei einem Sprudelwasser viel Zeit, analysierte und erklärte und lieferte auch interessante Hintergründe, die es nicht in die Zeitung schafften. (FR)

Und haben Sie den Eindruck, dass Ihre Mannschaft das verstanden hat?

Ja, im Training ist richtig Feuer drin. Ich lasse da auch keinen Schlendrian einkehren. Wenn ich es anders angehen würde, könnten wir alle zu Hause bleiben.

Und deshalb kann es auch schon mal sein, dass es, wie jetzt auf der Japan-Reise mit Luca Pellegrini, mal zu einem Disput mit einem Spieler kommt.

Wir wollen alle den größtmöglichen Erfolg. Das ist unser Bestreben und unsere Aufgabe. Dass wir auch einmal diskutieren, fordern und uns reiben – das gehört auf allen Ebenen dazu. Uns ist es wichtig, dass wir uns immer entwickeln wollen und das Beste aus unseren Möglichkeiten machen. Auf allen Ebenen.

Okay, dann probieren wir es anders: Ist es nötig, manchmal streng und hart zu sein?

Wenn man Kinder hat, wird man auch mal lauter. Weil man das Beste für sie will.

Sind Sie nachtragend? Gibt es für Spieler eine zweite Chance, die es sich mal mit Ihnen verscherzt haben?

Für mich gibt es eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf: Wenn ich merke, ein Spieler wird für die Kabine zu einem Problem, gibt es keinen Schritt mehr zurück. Denn dann können wir unseren Spirit nicht aufrechterhalten. Das gefährdet unseren Erfolg. Das kann ich nicht zulassen. Und ich muss den Eindruck haben, dass die Spieler die Dinge, die für unser Spiel wichtig sind, bestmöglich umzusetzen versuchen. Dieses Gefühl muss ich haben. Es muss nicht perfekt sein, ich verzeihe auch Fehler. Aber wenn einer sich damit nicht auseinandersetzt, geht die Tür zu. Denn wir haben klare Prinzipien und Abläufe, die kennt jeder Spieler. Und daran muss er sich halten.

Es soll zwischen Ihnen und Sportvorstand Markus Krösche ja auch schon mal geraucht haben. Gehört diese Reibung dazu?

Der Staff, Trainerteam, Physios, Mediziner, wir sitzen vor jedem Training zusammen. Da gibt es auch mal, Sie würden vielleicht sagen, Konflikte. Ich nenne es Diskussionen. Wenn wir die nicht führen würden, dann wäre es eine Diktatur. Aber ansonsten gibt es Diskussionen, die gehören dazu. Mir geht es nur darum: Wie können wir maximal erfolgreich sein? Und dazu werde ich immer meine Meinung sagen. Deswegen hat man aber kein schlechtes Verhältnis oder Probleme. Ganz im Gegenteil: eine offene Diskussionskultur ist leistungsfördernd. Und ganz ehrlich, wir stehen auch nicht jeden Tag hier und diskutieren wild.

Sie diskutieren sicher auch über Spieler mit Markus Krösche. Jetzt ist ja Paxten Aaronson verpflichtet worden.

Paxten Aaronson ist ein super Spieler, ein großes Talent. Er ist mit 19 Jahren sehr jung und hat ein großes Potenzial. Er wird behutsam aufgebaut. Paxten ist ein Spieler, der uns mittelfristig viel Freude bereiten kann. Aber klar, als Trainer denkt man auch immer kurzfristig und schaut, wie man in den anstehenden Wochen und Monaten das Beste rausholen kann.

Wir haben bereits über manch Vertragssituation von Spielern gesprochen, doch was ist eigentlich mit Ihnen?

Wieso? Seit meinem Vertragsbeginn ist doch weniger Zeit vergangen, als es noch bis zu meinem Vertragsende 2024 ist.

Jetzt sind Sie aber sehr genau. Das gilt noch für etwa vier Wochen.

Aber wir reden ja auch heute (lacht).

Dann formulieren wir die Frage anders: Spieler sollen möglichst nicht ins letzte Vertragsjahr gehen, das wäre im Sommer aber bei Ihnen der Fall. Wird es deshalb in der langen Winterpause Gespräche mit dem Klub geben? Gibt es bereits Absprachen?

Ich habe wirklich noch lange genug Vertrag, die Zeit drängt nicht. Mir ist wichtig, dass es eine gemeinsame Perspektive gibt, die es zulässt, nachhaltig um die internationalen Plätze mitzuspielen.

Sie persönlich dürften mit der Frankfurter Erfolgsstory natürlich auch das Interesse bei anderen Klubs geweckt haben. Trudeln schon Anfragen ein?

Ich mache mir darüber keine Gedanken. Vor fünfeinhalb Jahren war ich Trainer in der zweiten Liga Österreichs. Hätte mir damals jemand gesagt, ich würde mit zwei deutschen Klubs zweimal die Champions League erreichen und obendrauf noch die Europa League gewinnen, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Es kommt, wie es kommt. Mir macht es einfach jeden Tag Spaß hierherzukommen, mit den Spielern zu arbeiten. Und wir sehen ja auch, dass wir uns ständig weiterentwickeln. Die Jungs ziehen mit, deswegen macht es mir Spaß. Und ganz grundsätzlich: Wenn ich das Gefühl habe, ich bin noch am richtigen Platz, dann passt das und ich werde bleiben.

Nein, den habe ich nicht. Ich bin ja auch vom Vierten aus Wolfsburg zum Fünften nach Frankfurt gewechselt (lacht). Aber im Ernst: Ich hätte damals mit Roger Schmidt als Co-Trainer nach Leverkusen gehen können, habe mich stattdessen aber für das Angebot der SV Ried entschieden, weil ich es als guten Einstieg empfand. Viele meiner Freunde haben mich damals gefragt: ‚Bist du verrückt? Du könntest in die Bundesliga gehen und mehr Geld als in Ried verdienen.‘ Doch ich wollte dort lieber etwas aufbauen, was wir letztlich auch geschafft haben. Danach bin ich zum Linzer ASK in die zweite Liga gegangen. Und schon wieder haben alle gesagt: ‚Jetzt spinnt er völlig.‘ Aber es war wieder ein spannendes Projekt. Wir wollten den LASK nach oben führen, und nach vier Jahren waren wir Vizemeister. Das ist mein Antrieb, meine Befriedigung.

Sie sind dann ja doch noch nach Deutschland gewechselt.

Auch das ist einfach so passiert. Plötzlich hatte ich drei Angebote und habe mich für Wolfsburg entscheiden. Und wenn Adi Hütter nicht seine Ausstiegsklausel in Frankfurt genutzt hätte, wäre er wahrscheinlich heute noch Eintracht-Trainer. Und ich wäre trotzdem aus Wolfsburg weggegangen, weil halt nicht alles gepasst hat in dieser Phase. Ich will, dass immer alle denselben Weg gehen, an einem Strang ziehen. Darum geht es. Wenn das nicht so ist, wenn andere woanders hinwollen, dann ist das auch okay, aber dann passt halt Oliver Glasner nicht mehr dazu. Ich bin überzeugt, nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann es den maximalen Erfolg geben. Jedoch müssen wir auf der Hut sein, denn im Erfolg macht man die größten Fehler. Ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg bei der Eintracht, aber wir dürfen im Erfolg nicht nachlassen.

Interview: Ingo Durstewitz, Thomas Kilchenstein, Daniel Schmitt