Forscher auf der Spur von mysteriösen Meeresstrudeln - Hamburger Abendblatt

2022-12-07 15:35:23 By : Mr. Beck peng

Mit Schnellbooten und Flugzeugen suchen

Foto: Helmholtz Zentrum Geesthacht

Mit Schnellbooten, Flugzeugen und modernster Technik suchen Forscher aus Geesthacht nach kleinen Wasserwirbeln in den Ozeanen.

Hamburg.  Vor zehn Jahren waren sie nichts weiter als ein Gerücht. Neben den Meeresströmungen, die gewaltige Wassermassen rund um den Globus transportieren, und den mächtigen Riesenwirbeln sollten sich weitere, unzählige kleine Wirbel in den Ozeanen drehen und Wassermassen aufwühlen. Die Computermodelle von Wissenschaftlern der University of California in Los Angeles wiesen eindeutig daraufhin. Dieser völlig neue Gedanke faszinierte Prof. Burkard Baschek. 2009 wies der Ozeanograf, der seit 2012 Leiter am Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht ist, vor den Küsten Kaliforniens zum ersten Mal die kleinen Ozeanwirbel nach. Sie sind also kein Gerücht, es gibt sie wirklich.

15 hat der begeisterte Wirbeljäger inzwischen vermessen und analysiert. Jetzt sind sie die Stars eines Filmes (siehe unten) und ein Internetauftritt ist ihnen gewidmet. „Sie sind wichtige Zahnräder im Uhrwerk Ozean“, wie sie Burkard Baschek nennt. So beeinflussen die vielen kleinen Wirbel in den Weltmeeren die Fischbestände, den Energietransport in den Ozeanen, die Mikro­algen, die 50 Prozent unseres Luftsauerstoffes produzieren, oder auch das Klima.

Unser Blick auf die Erde ist durch Satelliten geprägt. Doch diese sind blind für die kleinen Ozeanwirbel, die maximal einen Durchmesser von drei Kilometern aufweisen. Ihre großen Geschwister kommen auf 200 bis 300 Kilometer. „Deshalb haben wir sie zunächst einmal gar nicht bemerkt, und dann haben wir gedacht, im Vergleich zu den mächtigen Meeresströmungen seien sie auch gar nicht so wichtig. Doch das war ein gravierender Irrtum. Auch wenn wir vieles über sie noch nicht wissen, ist sicher, dass sie eine zentrale Rolle spielen“, betont der Ozeanograf, der bis 2012 an der University of California forschte und lehrte.

Die Wissenschaftler schätzen, dass es auf einer Fläche von 20 Quadratkilometern mindestens vier bis fünf dieser kleinen „Zahnräder“ gibt. Das Jagdgebiet der Wirbeljäger erstreckt sich damit also über 70 Prozent der gesamten Erdoberfläche. Allerdings sind diese Wasserstrudel nicht gleichmäßig verteilt. „Daher haben wir zunächst begonnen, sie in der Nähe von Inseln zu suchen, weil sie hier häufiger auftreten. Sie entstehen an den Ufern und treiben dann ins Meer“, erläutert Baschek. Aber auch entlang des Golfstromes, der mehr Wasser transportiert als alle Flüsse der Welt zusammen, lösen sich aus den großen Wasserwirbeln, die sich entlang der Flanken des Stromes bilden, kleinere Wirbel ab. Sie vermischen das Wasser intensiv, sodass Turbulenzen entstehen. „Auf diese Weise tragen sie dazu bei, die Energie, die Wind und Sonne in den Ozean eintragen, zu verteilen. Das ist wichtig, damit der Energiehaushalt der Meere im Gleichgewicht bleibt“, erklärt der Wirbeljäger.

Die Suche nach den Wirbeln in den Weiten des Ozeans ist zwar eine Herausforderung, aber Burkard Baschek hat mit Partnern aus neun internationalen Forschungseinrichtungen in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich an Mess- und Beobachtungsmethoden gefeilt. Bei den Experimenten suchen bis zu drei kleine Flugzeuge und drei kleine Schnellboote gleichzeitig nach den Wirbeln. Die Arbeitsteilung ist klar: Die Flugzeuge stöbern die Wirbel auf, geben die Information an die Schnellboote, die zu ihnen rasen und sie untersuchen, während die Flugzeuge die instabilen Gebilde genau im Auge behalten.

„Wir fliegen morgens los und suchen die Meeresoberfläche mit den Flugzeugen systematisch ab, Quadrant für Quadrant. Die Flugzeuge sind mit hochauflösenden Kameras bestückt, die die Oberflächentemperatur und das Farbspektrum des Meeres erfassen. Diese Daten verraten die Wirbel“, schildert Baschek. Die Wärmebild­kameras der Flugzeuge zeichnen dabei Temperaturunterschiede von 0,03 Grad Celsius auf. Das ist unglaublich präzise und erlaubt den Wissenschaftlern, den kalten inneren Kern des Wirbels, in dem das nährstoffreiche Wasser der Tiefen an die Wasseroberfläche strömt, von den wärmeren äußeren Rändern zu unterscheiden. In der Regel beträgt dieser Unterschied etwa ein Grad ­Celsius.

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Das Farbspektrum des Meerwassers, das eine Spektralkamera dokumentiert, gibt Aufschluss darüber, wie viele Rot-, Grün- oder Braunalgen im Wasser schwimmen und in welchem Wachstumsstadium sie sich befinden. In kleinen Wirbeln ist ihre Konzen­tration im Vergleich zur Umgebung immer erhöht. So entsteht Stück für Stück ein Bild der Wasseroberfläche – und die unsichtbaren Wirbel werden für die Forscher sichtbar. „Wenn sich an den Rändern durch die Eigenrotation der Wirbel bereits spiralförmige Arme ausgebildet haben, dann können wir die Wirbel auch mit dem bloßen Auge aus dem Flugzeug erkennen. Sie sehen dann wie ferne Galaxien oder Wirbelstürme aus “, sagt der Ozeanograf.

Doch viel Zeit haben die Wissenschaftler nicht, um sich an der Schönheit dieser Wirbel zu erfreuen. Sie müssen schnell entscheiden, welchen Wirbel sie genauer unter die Lupe nehmen wollen und die Schnellboote informieren. Während die großen Wirbel mehrere Monate durch den Atlantik treiben können, lösen sich die kleinen nach sechs bis zwölf Stunden wieder auf.

Mit 40 Knoten rasen die Mannschaften auf den Schnellbooten ins Untersuchungsgebiet. Sie brauchen nur fünf Minuten, um alle 20 Geräte, die Temperatur, Salzgehalt, Druck und Chlorophyll-Konzentration messen, an einer Schleppkette zu befestigen und auszusetzen. „Das ist ganz einfach. In die fünf Millimeter dicke, reißfeste Nylonschnur stecken wir die Haken aus der Langleinenfischerei und befestigen daran die Geräte“, erzählt Prof. Baschek – allerdings ging das nicht immer problemlos. Beim ersten Mal hatten er und sein Team den Wasserwiderstand unterschätzt und verloren alle Geräte.

Die Boote durchfahren während der Messungen den Wirbel immer wieder aufs Neue. Die kleinen und kompakten Instrumente sammeln Daten aus bis zu 50 Metern Tiefe. Dabei werden die Schiffe von den Flugzeugen begleitet. „Alle 15 Minuten zieht der Wirbel um 200 Meter weiter und zwar in die Richtung, die ihm gerade einfällt. Wenn wir den Wirbel nicht aus der Luft im Auge behalten, verlieren ihn die Schnellboote sofort“, erläutert Baschek, der davon träumt, seine Forschungsschiffe und Flugzeuge in Zukunft so auszustatten, dass neugierige Landratten die Jagd nach den kleinen Wirbeln live miterleben können. Zunächst sollen Filme, die mit Virtual-Reality-Brillen betrachtet werden, die Menschen in den Bann ziehen.

Sein nächstes Experiment findet im kommenden Jahr in der Ostsee mit einem Zeppelin statt den Flugzeugen statt. Im Bornholmer Becken will er im freien Wasser und nicht entlang von Inseln nach den kleinen Zahnrädern im Uhrwerk Ozean suchen. Mehr noch als die Vorbereitung dieses Projektes beschäftigen ihn die vielen ungelösten Rätsel. Wo kommen die Algen in den Wirbeln her? Welche Rolle spielen die Wirbel im Klimageschehen? Wie können sich Fische über größere Distanzen orientieren, wenn ihnen immer wieder völlig unvorhersehbar kleinere Wirbel den Weg verstellen? Neben den Ozeanografen hat er auch Biologen gewonnen, über diese Fragen zu forschen. Um die Komplexität des Uhrwerks Ozean zu verstehen, werden noch viele Fragen beantwortet werden müssen.

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